Donnerstag, 26. Mai 2011

Prozess Chodorkowski/Lebedew: Verheerendes Signal der zweiten Instanz

Pressemitteilung www.gruene-bundestag.de v.24.05.2011

Zur Entscheidung im Berufungsverfahren im Fall Chodorkowski / Lebedew erklären Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik, und Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender:

Das absurde Urteil vom Dezember 2010, das den von Präsident Medwedjew beklagten Rechtsnihilismus dokumentiert, wurde von der übergeordneten Instanz im Wesentlichen bestätigt. Die Reduzierung der Haftstrafe um ein Jahr ist bloße Kosmetik. Die vielfältigen Verfahrensverstöße des erstinstanzlichen Gerichts, die darauf hinweisen, dass das Urteil vom Dezember unter massivem politischen Druck zu Stande gekommen ist, wurden schlicht ignoriert. Pikanterweise wurde die Berufung von genau jenem Moskauer Stadtgericht verhandelt, das nach Aussage der Pressesekretärin des Chamowniki-Gerichts das erstinstanzliche Urteil formuliert und durchgesetzt hatte.

Der Ausgang dieses Prozesses ist ein verheerendes Signal nicht nur für die innere rechtsstaatliche Entwicklung Russlands sondern auch für die dringend notwendige Modernisierung des Landes. Ohne rechtsstaatliche Verhältnisse ist kein Investor in Russland sicher. Deswegen sollte das Urteil des Moskauer Stadtgerichts für westliche Investoren wie Siemens, BP, BASF und vor allem für Mittelständler von Interesse sein.

Mit dieser Rechtsprechung droht sich Russland auf dem internationalen Parkett zu isolieren. Davon zeugen die Ergebnisse der bisher im Zusammenhang mit dem Fall Chodorkowski/Lebedew und der Zerschlagung von Jukos international geführten Verfahren: Das Schiedsgericht der Handelskammer in Stockholm erklärte die Enteignung von Jukos für illegal. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg entschied, dass die U-Haft von Platon Lebedew im ersten Verfahren rechtswidrig war. Gerichte in den Niederlanden kamen zum Schluss, dass die russische Justiz bei einem Verfahren im Hinblick auf Jukos rechtsstaatlichen Kriterien nicht genügte. Weitere Verfahren werden folgen.

Präsident Medwedjew, der ausgezogen war, den Rechtsnihilismus zu bekämpfen, hat heute eine Niederlage erlitten. Gesiegt hat Ministerpräsident Putin und seine Entourage im Kreml, die einen Michail Chodorkowski in Freiheit offensichtlich so fürchten, dass sie zu jeder Rechtsbeugung bereit sind