Mittwoch, 30. Januar 2008

Russische Serbien-Spekulationen

ZitatAnfang - Setzt Russland bei der Präsidentenwahl in Serbien auf den Richtigen?

MOSKAU, 28. Januar (Jelena Schesternina, RIA Novosti). Am vergangenen Freitag hatte Wladimir Putin im Kreml zwei serbische Politiker empfangen: Präsident Boris Tadic und Premier Vojislav Kostunica.
Als das Hauptziel des Besuchs galt die Unterzeichnung von Abkommen im Öl- und Gasbereich (es handelte sich um den Verkauf des Kontrollpakets der staatlichen Erdölgesellschaft NIS an Gasprom und um den Bau eines Abschnitts der Gaspipeline South Stream in Serbien) sowie die Erörterung einer Privatisierung der serbischen Fluggesellschaft JAT, deren Kontrollpaket ins Visier der russische Fluglinie Aeroflot geraten war. Aber die Unterredung beschränkte sich nicht nur auf Wirtschaftsprojekte. Gesprochen wurde auch über das Kosovo sowie über die innenpolitische Situation in Serbien. Dort soll am 3. Februar die zweite Runde der Präsidentschaftswahl stattfinden. Boris Tadic, der vor einer Woche die erste Runde verloren hat, braucht die Unterstützung seitens Moskaus wie noch niemals zuvor.
Warum aber haben die Kreml-Beamten und die russischen Diplomaten beschlossen, von den zwei Kandidaten gerade Tadic zu unterstützen? Denn der Sieger der ersten Wahlrunde, die "Nr. 2" der Serbischen Radikalen Partei, Tomislav Nikolic, (die "Nr. 1" in der Parteihierarchie ist Vojislav Seselj, der derzeit vor dem Kriegsverbrechergericht in Den Haag sitzt) wirkt im Vergleich zu seinem Opponenten deutlich als ein Anhänger der Partnerschaft mit Moskau. Ja, Tadic ist bereit, mit Moskau Freundschaft zu halten - aber um kein Jota mehr als mit dem Westen. Er hofft, früher oder später sein Land in die Europäische Union "hineinzuschleppen". Selbst der Verlust des Kosovo, für dessen Unabhängigkeit die meisten Mitglieder der Organisation sind, dürfe, so der Präsident, diese Pläne nicht zu Grabe tragen.
Nikolic dagegen hat im Klartext mitgeteilt, dass er bereit sei, die Beziehungen zum Westen abzubrechen, sobald dieser die Unabhängigkeit der Provinz anerkenne, dass Serbien auch ohne die Europäische Union auskommen könne und dass die Antwort auf die Kosovo-Unabhängigkeit die Aufstellung eines russischen Militärstützpunkts in Serbien sein könne. Nach Meinung von Nikolic ist ein solcher Schritt für Moskau von Vorteil: Er wäre eine "adäquate Antwort" auf die Pläne, Teile des US-Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen zu stationieren. "Wenn die USA zum Schutz gegen den Terrorismus Raketen nach Europa verlegen, kann sich Russland genauso einen Stützpunkt in Serbien aufbauen", erklärte Nikolic. Außerdem ließ er die Annahme zu, dass in Serbien nicht einfach russische Raketen, sondern auch nukleare Gefechtsköpfe hinzukommen könnten.
Moskau hat auf solche Angebote nicht geantwortet - und das hat seine Gründe.
Erstens steht nicht fest, dass der Sieger der ersten Wahlrunde unbedingt auch die Stichwahl gewinnt. Etwas über vier Prozent Abstand zwischen den Hauptrivalen sind nicht übermäßig viel. Jetzt hängt alles von den Verlierern des ersten Teils des Wahlrennens ab, wen sie unterstützen werden. Rein arithmetische Berechnungen zeigen: Zur Zeit führt der amtierende Präsident. Also habe es, nach der Logik von Moskau, keinen Sinn, Nikolic zusätzliche Dividenden in Form einer offenen Unterstützung auszuschütten: Er bleibe ohnehin ein "Freund von Moskau", man brauche ihn nicht erst zu überzeugen. Im Unterschied zu Tadic: Wenn sich am Horizont die Möglichkeit des EU-Beitritts abzeichne, könne er mit der Zeit seine heutigen prorussischen Neigungen auch vergessen.
Zweitens weist die Unterstützung des Radikalen Nikolic - selbst bei seinem Sieg - unbezweifelbare Minuspunkte auf. Eigene, erst recht nukleare Raketen auf dem Balkan aufzustellen, heißt, sich in eine offene Konfrontation mit dem Westen zu begeben. Zudem steht nicht fest, dass Nikolic gleich nach der Abstimmung sein eigenes Angebot nicht vergessen hat: Denn um die Popularitätswerte vor der Wahl in die Höhe zu schrauben ist jedes Mittel recht. Niemand kann hundertprozentig garantieren, dass das Gerede von Raketen nichts als Wahlrhetorik sind. Das beweist auch indirekt, dass der Vorschlag kein einziges Mal der russischen Führung direkt gemacht, vielmehr nur in den Medien vermittelt wurde.
Drittens ist Russland an einer völligen Isolation Serbiens gar nicht interessiert - diese aber wird im Falle des Sieges von Nikolic sicherlich eintreten. Die Erweiterung der EU hat Moskau, anders als die NATO-Erweiterung, nie geärgert. Selbstverständlich gilt das nur, solange die "Neuen" nicht unter der EU-Ägide Moskau ihre eigenen Rechnungen präsentieren (besonders kennzeichnend ist das für die baltischen Länder und für Polen). Doch Serbien wird sich unter diese Länder nicht einreihen. Eher umgekehrt, das Aufkommen eines neuen prorussisch gesinnten Staates in der Europäischen Union wird Moskau in die Karten spielen. Zumal man seine Freunde im "einheitlichen Europa" an den Fingern abzählen kann.
Offenbar hat Moskau eine Entscheidung getroffen. Nun heißt es, auf den 3. Februar zu warten, um zu verstehen, ob Moskau auch gewinnen wird.

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen. - ZitatEnde

KOMMENTAR

"Serbien im Spiel der Großmächte" - so wäre man geneigt, das Mitmischen des Auslands in den serbischen Wahlkampf zu kommentieren, aber das wäre nur die halbe Wahrheit, denn die serbischen Wahlkämpfer selbst holen sich diese "Unterstützung" ran. - Ob das im Interesse Serbiens ist? Wohl kaum, denn die Macht-Beihilfen haben ihren politischen und wirtschaftlichen Preis. Korrumpieren.

msr >> www.diskussionen.de